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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Dritter Bericht von Juliane
von Juliane Schwarz
20.07.10     A+ | a-
Liebe Freunde der PPI,
anbei mein 3. Bericht über meine Arbeit in Paraguay, im Bañado Sur, dem Elendsgebiet am Rio Paraguay in Asunción. Wir haben zur Zeit einen Amerikaner (Pablo) zu Besuch, der Gesundheitswesen studiert. Mit ihm zusammen haben wir insgesamt vier Stunden für die Treffen mit den Müttern vorbereitet. In der ersten Stunde ging es um das Kennenlernen des eigenen Körpers  - um die Bezeichnung der einzelnen Körperbereiche, die Lage und die Namen der Organe. Anhand von selbstgemalten Bildern haben wir erklärt, wie eine Schwangerschaft entsteht und wie der weitere Verlauf ist.In dieser Stunde haben wir auch alle aktuellen Vorurteile und Mythen angesprochen, die sich um dieses Thema ranken. Es ist wirklich erstaunlich, an was die Menschen hier oft glauben.

Ein Mythos z.B. ist, dass man beim ersten Mal Sex nicht schwanger werden kann. Oder der, dass man nach dem Sex auf die Toilette gehen sollte, denn mit dem Urin könne man das Sperma wieder rausspülen und somit eine Schwangerschaft verhindern. Sehr beliebt ist auch folgende „Verhaltensregel“: Wenn eine Frau ihre Tage hat, solle sie nicht duschen und sich auch nicht den Kopf waschen.

All diese Mythen haben wir auf einzelne Zettel geschrieben und diese Zettel zu einem Ball zusammen geknäuelt. Wir saßen im Kreis, und während Musik lief, wurde der Ball rumgereicht. Sobald die Musik aufhörte, musste die Frau, die den Papierball in der Hand hielt, ihn entblättern und den Mythos laut vorlesen. Auf dem Foto seht ihr Ruth, eine unserer Mütter, sie geht regelmäßig in die Schule, kommt immer zu den Treffen, und sie lebt auch sonst sehr selbständig und unabhängig.

Kurz gesagt, sie ist eine unserer Vorzeigemütter, wie sie da gerade den Ball entblättert und einen Mythos vorliest, übrigens den mit dem „Gang auf die Toilette“. Ich war total überrascht, als Ruth, die ich, wie gesagt, für eine sehr aufgeklärte Mutter halte, sehr überzeugt antwortete: Doch, das ist wahr! Zum Glück waren nicht alle  Mütter damit einverstanden. Wir konnten dann anhand unserer Zeichnungen sehr gut erklären, warum dem nicht so ist. Hier zu sehen ist Rosana, die auf der Schautafel gerade die Eierstöcke einer Frau sucht.

In der 2. und 3.  Stunde ging es dann um Verhütungsmittel.
Diese Stunden haben Pablo und ich eigentlich komplett alleine gemacht, da die neue Psychologin getreu den paraguayischen Verhältnissen eine Stunde zu spät kam (Vorgängerin Marcela hat gekündigt, da sie umgezogen ist)……. Das war aber offensichtlich gar nicht so schlecht, denn die Frauen waren an diesem Tagen extrem zugänglich und haben viel geredet, was wirklich selten vorkommt, obwohl es ja das eigentliche Ziel dieser Treffen ist. Wir haben die gängigen Verhütungsmittel erklärt, wir haben gezeigt, wie sie aussehen, ihre Vor- und Nachteile gemeinsam mit den Frauen erarbeitet und über die jeweilige individuelle Verhütungsmethode gesprochen.

Wir hatten auch eine Krankenschwester aus dem Krankenhaus unseres Viertels eingeladen, damit sie uns ein wenig unterstützt, aber auch damit die Frauen die Angst vor dem Krankenhaus verlieren und sie jetzt schon mal jemanden vor Ort kennen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo ja definitiv die Pille oder die Spirale bevorzugt werden, ist es hier die Dreimonatsspritze. Angeblich verhüten auch alle Frauen mit dieser Methode  -  nur wundere ich mich dann, warum ständig alle schwanger werden. Aber das ist natürlich auch ein sehr, sehr sensibles Thema, bei dem es extrem schwierig ist, an die Frauen heran zu kommen. Oftmals verhindern die Männer Erfolge in der Geburtenkontrolle. Sie wollen nicht, dass ihre Partnerinnen verhüten, da ein Mann hier dann als extrem potent und männlich gilt, wenn er viele Kinder hat. Keine der Frauen aber wollte wirklich zugeben, dass es schwer ist, mit ihrem Partner darüber zu reden. Aber vielleicht öffnen sie sich ja ein andermal, wir werden sehen. Zumindest konnten wir auch hier wieder einige Dinge richtig stellen, wie z.B. das Gerücht, dass man sich mit der Spirale sehr langsam und vorsichtig bewegen sollte, da sie sonst verrutschen kann. Oder sogar, dass der Mann sich an der Spirale verletzten kann. In der 4. Stunde waren Geschlechtskrankheiten das Schwerpunktthema, im Vordergrund stand Aids. Auch hier konnten wir mit Hilfe von Pablos Erfahrungen auf spielerische Art und Weise dieses schwierige Thema mit den Frauen durchgehen. Es hat allen großen Spaß gemacht und ich denke, diese vier doch sehr intimen Stunden haben auch das Vertrauen innerhalb der Gruppen gestärkt.

Ein anderer Fall, der uns gerade sehr beschäftigt, ist der von Glori (Schwester von Teodora, die zwei  Töchter mit extrem ausgeprägter Hasenscharte geboren hat und über die ich schon berichtete). Glori ist 25, hat 3 Kinder und konsumiert seit geraumer Zeit Crack. Anbei eine kurze Beschreibung aus Wikipedia, damit ihr wisst, wovon ich rede: „Crack ist eine Droge, die aus Kokainsalz und Natriumhydrogen -carbonat (Natron) hergestellt wird. Sie wird in kleinen Pfeifen geraucht und wirkt extrem schnell  -  in ca. 8 bis 10 Sekunden.

Crack ist die Droge mit dem höchsten Abhängigkeitspotenzial, gefolgt von Nikotin und Heroin. Bei einigen kann eine Abhängigkeit sogar schon nach einmaligem Konsum der Droge entstehen. Wie bei Kokain(-hydrochlorid) besteht eine große Gefahr darin, dass nach dem Konsum (bzw. dem "Runterkommen") sehr schnell das Bedürfnis entsteht, mehr zu konsumieren. Dies nennt man "Craving" (engl.: Begierde, Verlangen), was bei der schneller an- und auch wieder abflutenden Wirkung von Crack im Vergleich zu Kokain als wesentlich gravierender empfunden wird, so dass häufig bereits einige Minuten nach dem Konsum der nächste "Stein" geraucht wird.

So kann eine extreme Konsumdynamik entstehen, die einmal zu langen "Binges" (engl.: Episoden mit rasch aufeinanderfolgenden Konsumakten) führen kann, zum anderen auch zu einer raschen Entwicklung einer Abhängigkeit, bei der innerhalb kurzer Zeit eine Gewöhnung an die Substanz aufgebaut wird. Zur Erzielung des gleichen Effekts müssen deshalb die Dosen gesteigert werden. Die Entzugserscheinungen, die unmittelbar nach dem Rauchen eintreten und über Wochen anhalten können, werden von allen Konsumenten übereinstimmend als sehr unangenehm beschrieben.“ Momentan ist Crack sehr weit verbreitet bei uns im Bañado Sur, und die Zahl der Abhängigen wächst ständig, es ist alarmierend. Um den Stoff noch billiger verkaufen zu können, wird er oftmals mit den abenteuerlichsten „Zutaten“ gestreckt.  

Wir sind schon seit sechs Wochen dabei, Glori zu einer Entziehungskur hier im Centro de Adicciónes (Zentrum für Suchterkrankungen) zu bewegen. Vor Ort wurden schon alle vorläufigen Tests mit ihr gemacht, und sie ist auch schon angemeldet. Am verabredeten Einweisungstag ist sie jedoch nicht aufgetaucht.  Sie müsste 20 Tage dort in dem Zentrum bleiben, zunächst einen körperlichen Entzug machen. Danach müsste sie natürlich weiterhin dort therapeutisch betreut werden, um die psychische Abhängigkeit in den Griff zu bekommen. Erschwert wird die ganze Situation dadurch, dass ihr Cousin, der ihr Nachbar ist, Crack verkauft. D.h. es ist für Glori sehr einfach, an die Drogen ranzukommen, und ihr Cousin tut auch alles dafür, eine so gute Kundin wie Glori nicht zu verlieren. Zu allem Übel ist sie jetzt auch noch schwanger. Im dritten Monat, Vater unbekannt, d.h. das Kind wird mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit mit einer Behinderung auf die Welt kommen. In ihrem Fall sind natürlich die pränatalen Vorsorgeuntersuchen ganz wichtig, aber sie sträubt sich momentan gegen jede Art von Hilfe und ist der Meinung, dass sie das alles selbst in den Griff bekommt.

Wir haben sie davor gewarnt, dass man ihr die Kinder wegnehmen kann, wenn die Sozialarbeiter von den Krankenhäusern mitbekommen, dass sie Crack konsumiert. Diese „Drohung“ scheint wohl gewirkt zu haben, denn sie hat eingewilligt, nächste Woche noch mal mit uns zum „Centro de Adicciónes“ zu kommen. Aber das heißt natürlich nicht, dass sie auch wirklich auftauchen wird..... Anbei ein Bild von Glori mit einer ihrer Töchter bei einem Fest. Ein Fall, der sehr gut ausging, ist der von Gladis (29 Jahre, 5 Kinder). Sie ist während ihrer Schwangerschaft nie zu einer der pränatalen Vorsorgeuntersuchungen gegangen, und als es dann nach neun Monaten so weit war, war die Überraschung groß, als ihr Kind mit einem Wasserkopf zur Welt kam. Sie war jetzt über drei Wochen mit ihrem Sohn im Nationalen Krankenhaus.

Gestern kam sie bei uns vorbei, um uns ihren Sohn zu zeigen. Er wurde am Kopf operiert und angeblich ist jetzt alles gut. Durch Fernando Lugo, den neuen Präsidenten, hat sich das Gesundheitssystem sehr zum Vorteil der Bevölkerung geändert. Gerade Menschen wie Gladis profitieren davon, denn ohne diese staatliche Unterstützung hätte ihr Kind niemals operiert werden können, d.h. alles war gratis.

Das ist die stolze Mama Gladis mit ihrem Sohn Angel David. 
                   
Bis zum nächten Mal viele Grüße aus Paraguay! 
Juliane

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

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Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

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